Donnerstag, 12.03.2026
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„Wahrheit gibt es nur zu zweien“ – Der Briefwechsel zwischen Hannah Arendt und ihrem Mann Heinrich Blücher

„Unsere Herzen sind uns an das andere gewachsen, und unsere Schritte gehen im Gleichmaß.“ – Das schrieb Hannah Arendt an Heinrich Blücher am 13.6.1952. Kennengelernt haben sich die beiden unter der Ägide von Walter Benjamin und Bertolt Brecht im Exil in Paris. Er war ein Arbeiterkind, 1899 in Berlin- Kreuzberg geboren. Sein Vater starb vor seiner Geburt bei einem Arbeitsunfall. Die Mutter zog ihn als Wäscherin allein in Kreuzberg auf. Als Autodidakt las er Shakespeare wie Marx und Trotzki, trat er der zionistischen Jugendgruppe Blau-Weiß bei, obwohl er kein Jude war. Heinrich Blücher schloss sich 1918 den revoltierenden Soldatenräten an, wurde Mitglied im Spartakusbund und dann der KPD, gehörte dem illegalen Militär-Apparat der KPD an, wandte sich aber gegen die Parteiführung als die stalinistisch wurde und der SPD „Sozialfaschismus“ vorwarf.

Ende 1933 musste der Illegale nach Prag fliehen, wurde dort ausgewiesen und ging nach Paris, in den „Wartesaal“ (Lion Feuchtwanger) von etwa 55-tausend deutschen Emigranten. Ein Mann von beeindruckender körperlicher Statur, mit Mut und Chuzpe ausgestattet, plebejisch, konspirativ, abenteuerfroh, ein Liebling der Frauen, schon zweimal verheiratet. Er tarnte sich als skandinavisch gekleideter Flaneur, mit Pfeife im Mund, und verdiente seinen Lebensunterhalt als Nachhilfelehrer. „Diese Neigung für das Konspirative und die Gefahr muss ihm einen zusätzlichen erotischen Reiz verliehen haben.“ Schrieb Hannah Arendt über den Mann von Rosa Luxemburg, aber sie könnte damit auch ihren Heinrich gemeint haben.

Wir haben es hier mit dem seltenen Fall eines ebenso erotisch wie intellektuell aufgeladenen Briefwechsels zu tun. Auch der Entwicklungsgang dieser Liebe ist ungewöhnlich. Zuerst waren da die heftigen Diskussionen im Exilantenkreis um Brecht und Benjamin. Dann eines Abends sprang der Funke über, als der draufgängerische Heinrich direkt um Hannah warb – und über Nacht bei ihr blieb, nachdem ihr Hebräisch-Lehrer voller Rücksicht die Wohnung verlassen hatte. Wie Hannah stolz ihren Freunden berichtete.

Liebeslust und Diskussionsbereitschaft ergänzen sich von nun an. Es kommt zur Dialektik von Eros und Exegese. Wie lege ich Platon aus und wie liegen wir beieinander. Wie ist der „Totalitarismus“ zu verstehen und wie verstehen wir uns. So kann sich eine erotische Hermeneutik entfalten, in der Geist und Körper zueinander finden.

„Die Wahrheit gibt es nur zu zweien.“

Foto: Ricarda Schwerin/mit frdl. Genehmigung des Piper Verlags

Eventdaten bereitgestellt von: Reservix

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