»Es kotzt mich an. Ihr Kroppzeug!« – Forster Bürger proben den Coriolan (Uraufführung)
Die Geschichte vom Aufstieg und Fall des großen Individualisten Coriolanus ist faszinierend und brandaktuell. Cajus Marcius, nach dem Sieg bei der Stadt Corioli mit dem Zunamen Coriolanus versehen, ist ein scheinbar unbezwingbarer und grenzenlos stolzer Krieger; ein freies Radikal und ein radikal Freier, der die Spielregeln und gemeinschaftsstiftenden Gepflogenheiten der Römischen Republik zutiefst verachtet. Nach der Unterdrückung eines Hungeraufstands der Plebejer und dem Sieg über die benachbarten Volsker strebt er das höchste politische Amt des Konsuls an. Doch wählen lassen möchte sich Coriolanus nicht, denn er hält sich für auserwählt. Um seine Unabhängigkeit nicht aufgeben und sich nicht unterordnen zu müssen, begeht er einen verhängnisvollen Verrat…
Viele Autoren widmeten sich dieser herausfordernden und provokanten Figur: William Shakespeare in seiner Römertragödie »Coriolanus«, Bertolt Brecht in seiner Bearbeitung des Shakespeare-Stücks »Coriolan«, Plutarch in seiner Biografie, T.S Eliot in Gedichten und Günter Grass und Heiner Müller in ihren Theaterstücken »Die Plebejer proben den Aufstand» und »Germania 3«, in denen Theaterproben zum Brecht-Stück »Coriolan« stattfinden und von der gesellschaftlichen Wirklichkeit eingeholt und gewissermaßen selbst auf die Probe gestellt werden. Historisch entsteht die republikanische Demokratie u.a. aus der Überwindung eines Herrschertyps, wie ihn Coriolanus verkörpert; heutzutage arbeiten neue Coriolane weltweit an der Überwindung demokratischer Gemeinwesen.
Anlass genug, den autokratischen Patrizier und freiheitlichen Egomanen Coriolanus in einem vielstimmigen Theaterabend in den Blick zu nehmen. Jürgen Kuttner, Kulturwissenschaftler, Radiomoderator und Theaterkünstler, entwickelt und inszeniert »Es kotzt mich an. Ihr Kroppzeug!« in Forst und nähert sich der komplexen Figur aus verschiedenen Richtungen an. In seinen Theaterarbeiten und theatralischen Soloabenden widmet sich Kuttner immer wieder gesellschaftlichen, kulturellen, politischen und künstlerischen Phänomen, Themen und Fragestellungen und knüpft auf unterhaltsame Weise Verbindungen zwischen Naheliegendem und Entlegenem. (Zwischen 2018 und 2020 trat er etwa am Staatstheater Cottbus mit seinen »Videoschnipseln« auf.) In einer Mischung aus Show, Revue, Bühnenessay, Theaterstück und Vortragsabend entstehen so vielgestaltige Netzwerke aus Lebens- und Kunstwelten. In verschiedenen künstlerischen und theatralischen Ausdruckformen mäandert Kuttner durch Geschichte und Geschichten und wirft erhellende Schlaglichter auf Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft.
Zusammen mit vertrauten und neuen künstlerischen Partnern und einem Bürgerchor aus Forst und Umgebung sammelt Kuttner Splitter des Coriolanus-Stoffes, wirft und schüttelt sie durcheinander und bringt sie in kaleidoskopartigen Konstellationen zur Anschauung. Bruch- und Fundstücke von der Antike bis heute werden in dieser hybriden Theaterarchäologie vorgestellt. Als Spielstätte von »Es kotzt mich an. Ihr Kroppzeug!« fungiert der multifunktionale Veranstaltungssaal im ehemaligen Grand Hotel und späteren Kulturhaus »Forster Hof« in Forst, in dessen Architektur und Nutzungsgeschichte sich eine besondere Verbindung von Kunst, Politik und Soziokultur manifestiert und den das Lausitz Festival durch sein Theaterprogramm wiederbelebt.